Mythos Mutter

Jeder Mensch hat eine. Das ist es, was uns alle verbindet. Und gleichzeitig könnten die Ansichten über Mütter nicht aufgeladener und unterschiedlicher sein. DIE MUTTER ist ein Politikum. Die MUTTER ist etwas Emotionales. DIE MUTTER ist, was wir alle brauchen, wollen, vermissen oder hassen.

Ich liebe meine Mutter sehr. Und ich hatte lange ein ambivalentes Verhältnis zu ihr. Ich fand ihre Anteile in meiner Persönlichkeit, meinem Aussehen, meinem Habitus – und manchmal freute ich mich darüber. Öfter aber nicht. Heute bin ich stolz auf meine Herkunft, und das war ein langer Weg des liebevollen Annehmens.

In jedem System wird Mutterschaft politisiert. Sie wird instrumentalisiert. Manchmal, um Frauen ein schlechtes Gewissen zu machen, manchmal um politische Winkelzüge zu vollbringen. Mutterschaft wird einigen Menschen vorenthalten – etwa Männern, Queers, unfruchtbaren Frauen oder homosexuellen Paaren. Dann wird sie zu einer Krone, die man salbungsvoll nur auf auserwählte Häupter setzt. Mutterschaft? Das können nur Frauen, ist doch logisch. Logisch?

Wenn ich an Mutterschaft denke, fällt mir ein… Was fällt dir als erstes ein?

Bei mir taucht das Riefenstahl-Foto von einer blonden, drallen Frau mit fünf Kindern im Schlepptau auf. Ich denke: Diese Mutterrolle hatte eine Funktion für das Regime, nicht zu unterschätzen.

Was sind Mütter heute, bei uns in Mitteleuropa? Oft sind sie gestresst. Sie haben Ansprüche zu haben und müssen alles können, alles erreichen. „Nur“ Mutter zu sein ist nicht mehr genug. „Einfach auch“ Mutter zu sein ist auch nicht genug.

Mamas sind Übermenschen

Ich saß in einer Gruppe von Frauen in der eine darüber erzählte, wie schlecht sie von ihrem Mann behandelt wird. Schon seit vielen Jahren buttere er sie runter. Mir wurde ganz übel beim Zuhören. Ob sie Kinder geboren habe, wollte ich wissen. Sie bejahte – drei an der Zahl. Drei Geburten! Drei Leben hat diese Frau auf die Welt gebracht und lässt sich von ihrem Mann klein machen? Ich habe sie angesehen und ihr meine Bewunderung ausgesprochen. Wer die Kraft hat, drei Geburten hinter sich zu bringen, braucht sich von niemandem klein machen zu lassen, habe ich ihr gesagt.

Eines vereint alle Mütter – alle anderen wissen besser Bescheid, was sie können wollen und sollen sollten. Wir alle haben Meinungen über Mütter. „Mummy wars“ ist ein Terminus der beschreibt, wie Mütter sich gegenseitig abwerten.

Nicht jede Mutter hat Kinder geboren. Und nicht jede Person die ein Kind geboren hat ist eine Mutter.

Mütter dürfen keine Fehler machen. Sie sind Übermenschen, die alles im Griff haben und die Kinder perfekt erziehen, damit diese zu perfekten Menschen werden. Es ist eine lange, qualvolle und scheinbar nicht endenwollende Tradition, als erstes die Schuld bei der Mutter zu suchen, wenn mit dem Menschen was nicht stimmt.

Die vielgerühmte Fehlerkultur ist bei der Mutterschaft noch nicht angekommen. Liebe Mütter, liebe Väter, liebe Menschen mit Kindern: habt den Mut, unperfekt zu sein.

Die pointierte Zusammenfassung über Insta-Mütter liefert gewohnt feinsinnig Carolin Kebekus ab.

Ersatzfamilie gefällig?

Ich wende mich mit meiner Arbeit bewusst nicht an Mütter, Väter oder Eltern. Auch die traditionelle Familie ist ein Mythos. Menschen, die Kinder in ihrem Leben haben werden oft genug daran erinnert, welche Rolle sie haben oder nicht haben dürfen. Was uns alle vereint ist, dass wir den Kindern, die wir begleiten eine (möglichst) glückliche Kindheit ermöglichen wollen. Wenn du zurückdenkst, welche Menschen dich auf gute Weise geprägt haben, sind das vielleicht nicht immer deine leiblichen Verwandten gewesen.

Im Buch „Eiland“ von Aldous Huxley beschreibt er eine Welt, in der Kinder sich von mehreren Wahleltern aufziehen lassen. Die Beziehung zu vielen verschiedenen Erwachsenen wird als förderlich für die kindliche und jugendliche Entwicklung ermutigt. Dabei schildert er die Situation einer Protagonistin, die im Konflikt mit den leiblichen Eltern in das Haus ihrer Wahleltern einzieht. Dadurch entspannt sich die Situation für alle Beteiligten. Die Eltern sind nicht alleine verantwortlich, das Kind hat auch Ausweichmöglichkeiten. Ich kann mich noch gut erinnern, wie oft ich mir in der Pubertät gewünscht habe, ausziehen zu können…

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